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Di | 26.11.2013
László Sólyom. (Bild: APA)
24.8.2009
Weitere Spannungen Ungarn-Slowakei
Ein Staatspräsident möchte "als Privatmann" ein Nachbarland besuchen und dabei bei einer Veranstaltung teilnehmen, die den Staatsgründer seines eigenen Landes feiert.
Die Regierung des Nachbarlandes verbietet ihm wenige Stunden vor dem geplanten Besuch die Einreise.
Der Präsident fährt daraufhin nur bis zur Grenzlinie und zeigt sich empört über das Verbot.

Die Regierung seines Landes protestiert gegen das Vorgehen der Nachbarn und verspricht, die Europäische Union einzuschalten - der im Übrigen beide Länder angehören. Das Nachbarland gibt sich daraufhin verständnislos und verlangt seinerseits "eine Erklärung".
Diplomatische Eskalationsspirale
Das waren die Ereignisse, die Ungarn und die Slowakei in den vergangenen Tagen in Atem hielten. Es ist der bisherige Höhepunkt einer diplomatischen Eskalationsspirale, die in den vergangenen Jahren zunehmend Besorgnis erregte.

Der Mechanismus ist immer der Gleiche: Die slowakische Seite ergreift bestimmte Maßnahmen, die etwa die Sprache oder die Bildung tangieren, die ungarische Seite wirft daraufhin der Slowakei einen mangelnden Schutz der ungarischen Minderheit in dem Land vor, woraufhin die slowakische Seite wiederum auf die Aktivitäten rechtsextremer und nationalistischer Gruppierungen in Ungarn verweist und von der "Einmischung in innere Angelegenheiten" spricht.
"Privatbesuch" des ungarischen Präsidenten
Wenn dann auch noch ein ungarischer Politiker beschließt, der Slowakei - bzw. deren ungarischer Minderheit - einen Besuch abzustatten, kann die heikle Balance leicht kippen und der Konflikt eskalieren, so wie auch am vergangenen Freitag.

Dabei ist es bei weitem nicht der erste "Privatbesuch" des ungarischen Präsidenten Laszlo Solyom im Nachbarland.

Allerdings hatte bereits vor zwei Jahren eine ähnliche Visite in Bratislava für Unmut gesorgt, als der "Privatmann" Solyom öffentlich das Festhalten der Slowakei an den Benes-Dekreten kritisiert hatte. Solche Aussagen hätten bei einem Privatbesuch keinen Platz, hieß es damals aus dem slowakischen Außenministerium.
Solyom für undiplomatische Auftritte bekannt
Tatsächlich ist der Verfassungsrechtler Solyom auch in seinem eigenen Land nicht gerade für seine diplomatisch abgewogenen Äußerungen und Auftritte bekannt.

Der eher der konservativen Seite zuneigende und als recht eigensinnig bekannte Präsident wird vor allem in linksliberalen Medien oft kritisiert, wenn er etwa zu einem Thema schweigt, sich zu einem anderen Thema nach Ansicht der Kritiker dagegen wieder "zu parteiisch" äußert.
Regierungswechsel in Bratislava erhöht Druck
Doch die in den vergangenen Jahren erfolgte Trübung der Beziehungen Ungarn-Slowakei sind allem Anschein nach weniger auf die öffentlichen Auftritte ungarischer Politiker, sondern vielmehr auf den Regierungswechsel in Bratislava im Jahr 2006 zurückzuführen.

Denn mit der konservativen Vorgängerregierung von Mikulas Džurinda (1998-2006) waren die Beziehungen Budapests noch deutlich entspannter gewesen.

Zudem wird Ungarn seit 2002 von den Sozialisten (MSZP) regiert, deren politischer Rhetorik eigentlich jeder nationalistische Ton fremd ist.
Anfang Juli Sprachengesetz verabschiedet
In Bratislava ging dagegen 2006 Robert Ficos linkspopulistische Partei Smer eine Koalition mit der Slowakischen Nationalpartei (SNS) von Jan Slota ein, der für seine aggressive Polemik gegen Minderheiten bekannt ist. In jüngster Zeit scheint sich Ficos Partei ebenfalls der Polemik gegen Ungarn und die ungarische Minderheit anzuschließen, wenn auch nicht im rüden Ton Slotas.

Zuletzt hatte dann das Anfang Juli verabschiedete slowakische Sprachengesetz für heftigen politischen Protest aus Budapest gesorgt, da damit die Rechte der 500.000 Ungarn in der Slowakei verletzt würden.

Unausgesprochen könnte übrigens gerade der Konflikt um das Sprachengesetz einer der Hauptgründe gewesen sein, warum die Reise Solyoms in die Slowakei unterbunden wurde. Möglicherweise hatte die slowakische Seite befürchtet, der Präsident würde seinen "Privatbesuch" wie schon 2007 zur Kritik an der slowakischen Politik "missbrauchen" - und das auf slowakischem Boden.
EU kann mit Problem nur schwer umgehen
Die bilateralen politischen Spannungen erscheinen umso unnötiger, als im alltäglichen Umgang die Beziehungen zwischen Ungarn und Slowaken eigentlich harmonisch und weitgehend friktionsfrei zu verlaufen scheinen.

Doch slowakischen Nationalisten ist die 900-jährige Herrschaft des Königreiches Ungarn über das Territorium der heutigen Slowakei nach wie vor ein Dorn im Auge - sie befürchten, dass bestimmte Kräfte in Ungarn wieder ein "Groß-Ungarn" errichten wollten.

Letztlich geht es also um die seit dem 19. Jahrhundert grassierende "osteuropäische Krankheit": Jener der nationalen Selbstbestätigung gegenüber den Nachbarvölkern um jeden Preis. Eine Geisteshaltung, die der westeuropäischen Mentalität heute weitgehend fremd ist.

Dass die EU - einschließlich der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft, die einen Kommentar ablehnt - damit nicht wirklich umgehen kann, erscheint daher nicht sehr überraschend.