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Di | 26.11.2013
"Die Suche" Geschichtsunterricht mit Holocaust-Comic
Beim Comic denken viele spontan an Mickey Maus und Lucky Luke, an Asterix und Tim und Struppi. Lustige Kindergeschichten mit viel Action, untermalt mit Sprechblasen und jeder Menge "Bumm", "Ächz" und "Stöhn".
Darf man das?
Dass ausgerechnet ein Comic im Unterricht eingesetzt werden sollte, um Schülern den Holocaust zu vermitteln, wirft bei vielen die Frage auf: Darf man das?

Werden die NS-Verbrechen nicht verharmlost, die Opfer nicht verhöhnt, wenn Gaskammern und Massenmord in bunten Bildern gezeigt werden? In Berlin wurde eine Pilotstudie vorgestellt, die genau diesem Punkt nachgehen wollte: Wie gehen Schüler mit einem Comic zum Holocaust um, und lässt es sich tatsächlich im Unterricht nutzen? Die Ergebnisse waren überwiegend positiv.
"Die Suche" in insgesamt 18 Klassen
Für die Studie testete das Anne Frank Zentrum Berlin von Februar bis Juli den Comic "Die Suche" in insgesamt 18 Klassen in Berlin und Nordrhein-Westfalen. Der Comic und ein dazugehöriges Arbeitsbuch wurden im Geschichtsunterricht der Klassen 7 bis 10 eingesetzt, und zwar quer durch alle Schulformen: Hauptschulen waren genauso beteiligt wie Gymnasien, Gesamt- und Sonderschulen. Insgesamt 456 Schüler und Schülerinnen arbeiteten sich so durch die NS-Zeit. "Bei den Schülern hat der Comic viel Neugier ausgelöst und eine große Motivation, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen", zog Projektmitarbeiterin Janka Hartwig Bilanz. Ein Grund sei, dass die erzählte Geschichte die Jugendlichen für sich eingenommen habe: Drei Viertel von ihnen fanden die Story spannend.
"Die Suche" ist die fiktive Geschichte
"Die Suche" ist die fiktive Geschichte der niederländischen Jüdin Esther Hecht, die den Holocaust in verschiedenen Verstecken überlebt hat. Die Geschichte wird aus heutiger Zeit erzählt: Als alte Frau macht Esther sich gemeinsam mit ihrem Enkel Daniel auf die Suche nach den Helfern, die sie während der deutschen Besatzung versteckt hatten. Im Rückblick erzählt sie, wie es unter den Nationalsozialisten war. Sie erzählt von ihren Eltern, die deportiert und in Auschwitz ermordet wurden, sowie von ihrem Jugendfreund Bob, der das Konzentrationslager überlebte.
Der Comic wurde eigens für den Schulunterricht entwickelt
Der Comic wurde eigens für den Schulunterricht von einem Expertenteam des Anne Frank Hauses in den Niederlanden entwickelt. Auf der Grundlage historischer Fotos setzte der Zeichner Eric Heuvel die Erzählung in Bilder um. Sein Stil erinnert an die Tim-und-Struppi-Ästhetik der 40er Jahre: detailreich, aber klar. So werden zwar alle grausamen Stationen der Judenverfolgung gezeigt, dabei verzichteten die Autoren jedoch ganz bewusst auf Blut und Leichenberge.
Opfer, Helfer, Täter und "Zuschauer" oder "Mitläufer"
Wichtig an ihrem Konzept war den Experten, möglichst viele Fakten zu vermitteln, aber den Schülern auch die Einnahme unterschiedliche Perspektiven zu ermöglichen. Alle vier Gruppen - Opfer, Helfer, Täter und "Zuschauer" oder "Mitläufer" - werden in schwierigen Entscheidungssituationen gezeigt. Hier zeigt sich auch ein Vorteil des Comics, der nicht nur das Tun und Sagen, sondern immer auch die Gedanken der Figuren offen legen kann.
Die Schüler jedenfalls gaben dem Comic überwiegend gute Noten
Die Schüler jedenfalls gaben dem Comic überwiegend gute Noten, wie das Anne Frank Zentrum resümierte. Die Geschichte der Jugendverfolgung werde darin sehr informativ, verständlich und anschaulich dargestellt. Irritiert waren einige, weil sie Comics eher als Bücher für Jüngere kannten. Manche hätten sich drastischere Bilder gewünscht, andere wollten schwerere Arbeitsaufgaben. Aus Lehrer- und Expertensicht habe sich insgesamt jedoch gezeigt, dass der Comic "einen sehr intensiven Unterricht und sehr lebhafte Diskussionen" ermögliche, sagte Hartwig.
"Comic war für alle Klassen und in allen Schulformen geeignet"
"Als große Stärke hat sich erwiesen, dass der Comic für alle Klassen und in allen Schulformen geeignet war", ergänzte Hartwig.

Der Direktor des Anne Frank Zentrums Berlin, Thomas Heppener, kündigte an, "Die Suche" solle in Zukunft verstärkt im Unterricht in Deutschland eingesetzt werden. Dazu seien inzwischen auch Gespräche mit dem Klett-Verlag aufgenommen worden.
Von Marion Meyer-Radtke