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Di | 26.11.2013
Konvertiten in der Türkei Missionieren im Schatten des Minaretts
Jeremiah Mattix lebt gefährlich in der Türkei, denn er versucht Muslime christlich zu missionieren.
Der Missionar mit amerikanischem Pass wurde schon mit einem Messer bedroht, im Vorraum seines Gotteshauses verbrannten Unbekannte das Neue Testament und ganz in der Nähe in Malatya fielen vor einem Jahr ein deutscher und zwei türkische Christen Folter und Mord zum Opfer.
Aggressive Mission
Mattix arbeitet in einer freikirchlichen Protestanten-Gemeinde im südostanatolischen Diyarbakir. Sie ist eine von nur knapp 20 Konvertitengemeinden in der Türkei. 70 Muslime haben sich hier taufen lassen - Tendenz steigend. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) warnt aus Rücksicht auf die türkische Volksseele vor zu aggressiver Mission.
"Wir bieten Muslimen eine neue Heimat"
Jeden Monat händigt die Gemeinde 250 Bibeln aus und wirbt auf schwierigem Terrain für das Christentum, was immer wieder Unmut und Übergriffe hervorruft. "Wir bieten Muslimen eine neue Heimat", sagt Mattix, der in Bolivien geboren wurde und in den USA in die Mission gegangen ist. Konvertiten mit ehemals islamischen Glauben sind ein seltenes, aber zunehmendes Phänomen. Schätzungen zufolge treten derzeit jährlich mehrere hundert Muslime in der Türkei zum Christentum über.

"Viele kommen zu uns heimlich, der Druck in den Familien ist riesengroß", berichtet der 30-jährige Mattix. Der Vater von drei Kindern spricht von Morddrohungen gegen einige seiner Neu-Christen, weil sie in den Augen ihrer Familien eine Schande seien.
Bibelstudium
Diyarbakir, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, war einst das Zentrum des kurdischen Widerstandes und ist sehr muslimisch geprägt. Religiöses Zentrum ist die riesige, 1091 vom Seldschuken-Sultan Malik Schah gebaute Ulu Cami Moschee. In den Gassen der Altstadt, in der Nähe von drei Moscheen, liegt das Haus der Gemeinde Diyarbakir Kilisesi, hier lädt Mattix zum Bibelstudium ein. Kameras nehmen den Besucher ins Visier. Vor der Tür sitzt ein Sicherheitsmann.
"Verräter" und "ausländische Agenten"
Christliche Missionare stehen vor allem bei Nationalisten im Verdacht, "Verräter" und "ausländische Agenten" zu sein, die die Türkei spalten wollen. Im Juni 2007 wurde deshalb aufgrund der Gefährdungslage vom Innenministerium ein Sicherheitserlass verfügt. Dieser forderte die Provinzgouverneure auf, der Situation der bedrohten Christen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Religionsfreiheit in Türkei nur am Papier
Walter Flick, Religionsexperte der IGFM in Frankfurt sagt, dass in der Türkei Religionsfreiheit oft nur auf dem Papier existiere. "Prinzipiell ist christliche Missionsarbeit dort nicht verboten und genauso wie der Religionswechsel durch den von der Türkei ratifizierten Pakt über bürgerliche und politische Rechte gedeckt." Missionare würden aber als Unterwanderung und Bedrohung der Türkei gesehen, "was sich in grausamer Weise bei den Morden an dem Priester Andrea Santoro 2006 in Trabzon und an den drei protestantischen Christen im April 2007 in Malatya gezeigt hat".
Übertritte offiziell erlaubt
Flick kritisiert aber auch das Handeln der Missionare: "Es ist nicht sehr sinnvoll, offensiv aufzutreten und in der Öffentlichkeit Bibeln zu verteilen." Flick hat die Gemeinde in Diyarbakir besucht und dabei auch Mattix getroffen. Ob ein im April 2008 vom staatlichen Religionsamt der Türkei veröffentlichtes Rechtsgutachten - das Übertritte vom Islam zu anderen Religionen offiziell erlaubt - Konvertiten gesellschaftlich hilft, bleibe abzuwarten, sagt Flick.
"Der Koran überzeugt sie nicht mehr"
Mattix selbst weist den Vorwurf des gezielten Werbens zurück: "Muslime, die zu uns kommen, sind frustriert über die starren Regeln des Islam, sie halten das Christentum für die humanitärere Religion." Sie wollen nicht an einen Gott glauben, der bei Gesetzesverstößen Verstümmelungen fordere, sagt er. "Der Koran überzeugt sie nicht mehr."

Der Mann mit den schwarzen Haaren und dem Spitzbart ist aber sicher kein Diplomat in Glaubensfragen. Leider komme trotz einiger Bemühungen bisher kein Dialog mit muslimischen Vertretern zustande. Diese seien über die exakten Korankenntnisse des Missionars aus Übersee überrascht, berichtet Mattix: "Wir versuchen deutlich zu machen, dass wir keine imperialen Monster sind."
Von Georg Ismar/dpa