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Di | 26.11.2013

Hasslied auf Hrant Dink schockt Türkei
Nur die ersten Takte sind harmlos. Das Lied "Plan Yapmayın Plan" (Schmiede kein Komplott) beginnt wie viele türkische Schwarzmeer-Schlager mit volkstümlichen Fiedeln und Zithern.
Ismail Türüt Hass auf Armenier - Lob für Mörder
Doch dann kommt die Stimme von Sänger Ismail Türüt dazu, und mit der Idylle ist es vorbei. Türüts Lied, voller Hass auf die Armenier und voller Lob für die Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink, schockt die türkische Öffentlichkeit. "Wenn einer das Vaterland verkauft, dann ist er erledigt. Die Sonne der Türken und des Islam geht am Schwarzen Meer niemals unter", heißt es in dem Lied in Anspielung auf Dinks Mörder, die aus der Schwarzmeerstadt Trabzon stammen. In einem Video zu Türüts Lied bei "YouTube" ist als Begleitung der Lied-Zeilen die Leiche von Dink zu sehen.
Ermordung auf offener Straße
Dink war im Jänner in Istanbul auf offener Straße von dem Teenager Ogün Samast aus Trabzon erschossen worden; nach Ermittlungen der Polizei wurde Samast von dem Trabzoner Rechtsextremisten Yasin Hayal zu der Tat angestiftet. Beide stehen in Istanbul vor Gericht und müssen mit langen Haftstrafen rechnen. In Türüts Lied erscheinen Samast und Hayal als Helden. "Hört auf, die Glocken zu läuten, hört auf, Armenier-Freunde zu sein", singt Türüt. "Die Leute vom Schwarzen Meer werden das nicht schlucken."
Schon in der Vergangenheit hatte sich Türüt, der selbst vom Schwarzen Meer stammt, als Anhänger einer aggressiven Mischung aus türkischem Nationalismus und Islamismus zu erkennen gegeben. In einem Song verherrlichte er einen rechtsradikalen Mafiaboss vom Schwarzen Meer. Auch ein Loblied auf den Chef der rechtsnationalen Partei MHP, Devlet Bahçeli, hat er verfasst.
Zeitungen "Lob für die Mörder"
Nun aber habe Türüt ein Lied mit "Lob für die Mörder" auf den Markt gebracht, lauteten empörte Schlagzeilen der türkischen Zeitungen. Obwohl das Lied schon vor einer Woche veröffentlicht wurde und schnell für Furore sorgte, blieben die Behörden zunächst untätig. Das ist kein Zufall, meinen einige Beobachter. Wenn es in dem Lied nicht um einen so unbequemen Kritiker des türkischen Staates wie Hrant Dink ginge, wäre die Justiz sofort tätig geworden, kritisierte der frühere Vorsitzende der Istanbuler Anwaltskammer, Yücel Sayman.
Für Türüt nicht Verwerfliches
Türüt kann an seinem Hasslied nichts Verwerfliches finden. Er sei nicht wütend auf Armenier, sondern lediglich auf jene, "die ein Problem mit dem Türkentum haben". 99 Prozent der Türken seien mit ihm einer Meinung, fügte Türüt hinzu, er erhalte viel Zuspruch für sein Lied. Dink hatte wegen angeblicher "Beleidigung des Türkentums" vor Gericht gestanden; nach seinem Tod waren im Jänner mehr als hunderttausend Menschen unter dem Motto "Wir sind alle Armenier" durch Istanbul gezogen. Das bringt Türüt noch heute auf die Palme: "Ihr seid doch alle Armenier geworden", warf er seinen Kritikern vor.
Distanz zu YouTube-Videoclip
Auch der in der rechtsradikalen Szene der Türkei beliebte Schriftsteller Ozan Arif, der den Text des Liedes verfasst hat, ist sich keiner Schuld bewusst. Er stehe voll hinter dem Text, mit dem er sich aber auf keine bestimmte Person bezogen habe - eine Argumentation, die angesichts der vielen klaren Anspielungen auf Dink und seine Mörder in dem Lied fadenscheinig wirkt. Mit dem Videoclip bei YouTube wollen Arif und Türüt ebenfalls nichts zu tun haben. Angeblich wurde das Filmchen ohne ihr Wissen von einem in Österreich lebenden Türken angefertigt und ins Netz gestellt.
Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Sänger & Texter
Unter dem Eindruck der öffentlichen Empörung über das Lied startete die Istanbuler Staatsanwaltschaft heute Ermittlungen gegen den Sänger und den Texter. Beide könnten bei einer Verurteilung wegen Verherrlichung einer Straftat bis zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen. Auch Dinks Familie und Menschenrechtler bereiten Strafanzeigen gegen Türüt vor. Möglicherweise kommt auf den Sänger deshalb auch noch eine Anklage wegen Volksverhetzung und Rassismus zu. Das Innen-, das Justiz- und das Kulturministerium leiteten ebenfalls Untersuchungen ein.
"Sollen sie doch untersuchen", kommentierte Türüt gelassen. Bei türkischen Nationalisten steigt seine Popularität mit jeder neuen Strafanzeige. Obwohl ein Istanbuler Gericht heute ankündigte, den Zugang zu dem Lied bei YouTube sperren zu lassen, fanden sich noch Stunden danach bei dem Videoportal mehrere Clips zu "Plan Yapmayin Plan", in denen der Mord an Dink als Heldentat gefeiert wurde.
Susanne Güsten, APA