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Di | 26.11.2013
ÖVP Ausländerklassen
Die ÖVP will Zuwandererkinder ohne genügende Deutschkenntnisse für ein Jahr in eigene Ausländerklassen stecken.
"Man sammelt im städtischen Bereich quer durch alle Nationen alle, die nicht genügend Deutsch können - vor allem Quereinsteiger, die während des Schuljahres bzw. in der Schulpflichtphase ins Land kommen", sagte ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek der Tageszeitung "Kurier" (Montagsausgabe).
"Treffsichere Maßnahmen"
"Es braucht treffsichere Maßnahmen zur sprachlichen Integration", betonte Brinek. So solle in Bezirken mit vielen Kindern nichtdeutscher Muttersprache die Klassenschülerhöchstzahl von derzeit 30 auf etwa 15 gesenkt werden.
"Ähnlich der Behindertenintegration"
Eine Alternative wäre eine Migrantenkinder-Quote pro Region: In einer Klasse sollen nicht mehr als vier bis fünf Schüler mit Sprachschwierigkeiten sein, "ähnlich der Behindertenintegration".

Für Acht- bis Neunjährige sowie Zehn- bis Zwölfjährige mit ungenügenden Deutschkenntnissen solle es jeweils eine eigene Klasse pro Bezirk oder Region geben. Nach einem Jahr sollten diese "außerordentlichen Schüler" (keine Noten, nur Schulbesuchsbestätigung) so weit sein, dass sie dem Regelunterricht folgen und in die zuständige Sprengelschule wechseln können.
Lehrer mit kulturellen Hintergrund
Brinek fordert außerdem eine Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds bei der Auswahl der Lehrer. Es sollten primär Männer der zweiten oder dritten Generation sein, "weil vor allem türkische Buben zuerst gleichgeschlechtliche Orientierung brauchen, um erfolgreich zu sein. Für sie ist es ein Kulturschock, wenn ihnen eine österreichische Lehrerin sagt, wo es langgeht."
"Elternschule"
Die ÖVP-Politikerin denkt auch über eine "Elternschule" nach. "Mütter und Väter, die mit schulpflichtigen Kindern ins Land kommen, sollten in die schulische Leistungskultur eingeführt werden, etwas über das Schulsystem lernen." Auch das Schulgeld sollte sozial gestaffelt sein: "Der UNO-Beamte zahlt mehr als der Abwäscher aus der Türkei."
Keine Gesetzesänderung nötig
Für die Einrichtung von eigenen Ausländer-Klassen ist laut Bildungsministerium keine Gesetzesänderung nötig. Dies sei eine reine Organisationsfrage und liege im Ermessen der Bundesländer. Während der Bosnien-Krise vor rund 15 Jahren seien solche Klassen auch eingerichtet worden, hieß es gegenüber der APA.
Gegen
Gegen eine strikte Trennung von zugewanderten Schülern sprechen sich die Grünen aus. "Es macht keinen Sinn, wenn jeder Austausch zwischen österreichischen und zugewanderten Kindern gerade in der ersten Phase verhindert wird", betonte der Bildungssprecher der Grünen, Dieter Brosz, in einer Aussendung.

Es sei unbestritten, dass die optimale Sprachförderung vom Alter der Kinder und der Kenntnis der eigenen Muttersprache abhängig ist, meinte Brosz. Dabei könnten die zugewanderten Kinder zum Teil auch in eigenen Gruppen unterrichtet werden. Kinder, die bereits in ihrer Muttersprache lesen und schreiben können, würden eine zweite Sprache selbstverständlich anders lernen. "Es ist aber auf jeden Fall sinnvoll, einen Austausch sicher zu stellen. Sport, Musik oder Werken können auf jeden Fall von Beginn an gemeinsam unterrichtet werden," so Brosz.
Senkung der Klassenschüler
Die Diakonie hält gemischte heterogene Kindergruppen zum Deutschlernen für am geeignetsten. Das Selbstvertrauen der Kinder müsse mit Berücksichtigung der jeweiligen Muttersprachen-Kompetenz gestärkt, das System zweisprachiger Begleitlehrer massiv ausgebaut werden, hieß es in einer Aussendung. Die Gewerkschaftsjugend verlangt ebenfalls in einer Aussendung eine Senkung der Klassenschüler-Höchstzahl auf 15. Separierte Klassen für Schüler mit Migrationshintergrund würden die Chancenungerechtigkeit im Bildungssystem weiter verschärfen.
"Unsinn"
"Unsinn" ist für die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (S) der Vorschlag von ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek, Zuwandererkinder ohne genügende Deutschkenntnisse für ein Jahr in eigenen Ausländerklassen zusammenzufassen. "Wir starten sicher nicht mit Ghetto-Klassen in Wien", so Brandsteidl gegenüber der APA. Wien hat im Bundesländer-Vergleich mit Abstand den höchsten Anteil von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache an den Schulen.
Fünf Stunden pro Woche
Im kommenden Schuljahr würden etwa Kinder mit schlechten Deutsch-Kenntnissen in der Volksschule fünf Stunden pro Woche isoliert unterrichtet, in der Hauptschule elf Stunden. Der Rest des Unterrichts finde in der Stammklasse mit Begleitlehrern statt, betonte die Wiener Schulchefin. Dies sei "internationaler Standard, wie man Integration frühzeitig fördert".
"Mama lernt Deutsch"
Die von Brinek angesprochene "Elternschule" für Mütter und Väter mit schlechten Deutsch-Kenntnissen sieht Brandsteidl mit den in Wien angebotenen "Mama lernt Deutsch"-Kursen verwirklicht. Auch die derzeitigen Klassengrößen mit durchschnittlich rund 24 Kindern bzw. 22 in der ersten Klasse sind für sie kein Problem: "Wir brauchen aber selbstverständlich die Lehrer dafür bezahlt." An Lehrern mit den nötigen Sprachkenntnissen mangle es grundsätzlich nicht. Eine bevorzugte Einstellung männlicher Lehrer für türkische Kinder kann sie sich in der von Brinek angedachten Form nicht vorstellen: "Davon auszugehen, dass ein männlicher Lehrer der zweiten Generation besser unterrichten kann, greift zu kurz."
"Unausgegoren"
Für SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser sind Brineks Vorschläge "unausgegoren". Die ÖVP habe zehn Jahre lang "jede Gelegenheit gehabt, vernünftige Integrationsmaßnahmen in den Schulen zu setzen. Gemacht hat sie - außer der Alibiaktion 'Sprachticket' - nichts." Ganz im Gegenteil seien tausende Lehrerposten und Unterrichtsstunden gekürzt worden. SPÖ-Vorschläge zur Integration wiederum seien von der ÖVP nicht diskutiert worden, so Niederwieser in einer Aussendung. "Stattdessen sondert die ÖVP-Wissenschaftssprecherin in der Woche der letzten NR-Sitzung noch schnell einen unausgegorenen Vorschlag in den Medien ab. Wohl wissend, dass im kommenden Schuljahr gar nichts mehr davon umgesetzt werden kann."