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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5. |
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Süßes Europa
Der P.I. zeichnende Verfasser merkt zu den
österreichischen Initiativen zum Europatag an:
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Institut der Regionen Europas
"Das Institut der Regionen Europas (IRE) ist ein wissenschaftliches Institut mit Sitz in Salzburg. Mit der Gründung des IRE wurde eine überregionale und überparteiliche Einrichtung geschaffen, die sich im erweiterten Europa die Aufgabe stellt, der zunehmenden Bedeutung der Regionen und Gemeinden Rechnung zu tragen"
So steht es im Pressetext zur Kulturinitiative 'Café d'Europe', die das IRE unter der Schirmherrschaft der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft zum Europatag am 9. Mai in siebenundzwanzig europäischen Hauptstädten veranstaltet hat, und man soll sich über die sprachliche Form solcher Verlautbarungen nicht mokieren, solange nur die Richtung stimmt:
Irgend jemand muß die Verständigung doch vorantreiben. Also gab es in siebenundzwanzig Cafés der europäischen Hauptstädte neben vielen anderen völkerverbindenden Initiativen wie dem Anbieten europäischer Süßspeisen
("Sweet Europe") auch Lesungen literarischer Texte zu hören ("Stories of Europe").
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Auswahl - Jirí Grusa
Verantwortlich für die Auswahl der siebenundzwanzig Dichter und Schriftsteller war Jirí Grusa, der Vorsitzende des Internationalen Pen-Clubs. Auch der Pen-Club, wie man sich erinnert, dient der Verständigung. Im besonderen dient die Schriftstellervereinigung dem Schutz der Freiheit des Ausdrucks, und der Pen-Vorsitzende versteht etwas davon.
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"Republikanisches und stoisches Europa"
Vor etwa einem Monat hatte Grusa den Dichter Miguel Veyrat eingeladen, als Vertreter Spaniens am 9. Mai im Madrider Círculo de Bellas Artes sein Gedicht 'Republikanisches und stoisches Europa' vorzutragen.
Veyrat, geboren 1938 in Valencia, hat viele Jahre als Journalist in Paris, Rom, Rabat, London und Dublin gearbeitet, er ist Dichter, Romanautor, Essayist und Übersetzer. Vielleicht hat dem Tschechen Jirí Grusa, dem ebenfalls 1938 geborenen Dichter, Romanautor, Essayisten, Übersetzer und Diplomaten, die Vielseitigkeit des Spaniers gefallen.
Ganz sicher gefiel ihm die poetische Kraft von Veyrats 126 Zeilen langem Gedicht 'Republikanisches und stoisches Europa', denn so steht es in einem Brief, den Grusa seinem spanischen Kollegen schrieb.
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E-Mail von Franz Schausberger
Doch kaum vierundzwanzig Stunden vor der angesetzten Lesung erhielt Miguel Veyrat eine E-Mail von Franz Schausberger, dem Gründer und Vorsitzenden des 'Instituts der Regionen Europas'. Darin teilte der frühere Fraktionsvorsitzende der ÖVP und ehemalige Landeshauptmann von Salzburg unserem
Dichter mit, seine Lesung im 'Café d'Europe' sei abgesetzt.
Begründung: Einige Teile seines Gedichts förderten weder den Dialog noch die Verständigung zwischen 'Rassen und Klassen'.
Dasselbe ließe sich, nebenbei, von Homers Odyssee oder Shakespeares Königsdramen
sagen.
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Im Namen der Europäischen Union
Nur daß das Verdikt hier im Namen der Europäischen Union erging, wodurch die
Gängelung beschämend wird. Bisher hat sich noch niemand für Schausbergers Übergriffe
entschuldigt, als da sind: sich aus politischen Gründen die lyrische Deutungshoheit
anzumaßen; dem Vorsitzenden des Pen-Clubs die Zuständigkeit zu entziehen; den freien
literarischen Austausch öffentlich zu beschwören, um ihn in Wahrheit zu knebeln.
'Sweet Europe?' Franz Schausbergers Europa-Rhetorik maskiert den Geist des Autoritarismus."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.2006 |
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