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Di | 26.11.2013
Schiitische Kurz-Ehen Heirat für vier Stunden
Zwanzig Mal war Pajenda Mohammed schon verheiratet - meist nur für ein paar Stunden. Der 29-Jährige ist in Afghanistan kein Einzelfall. Mit dem Segen schiitischer Geistlicher werden Paare im Blitzverfahren für eine festgelegte Zeit getraut.
"Keine Familie und kein Geld"
"Niemand wollte mich mit seiner Tochter verheiraten, weil ich keine Familie und kein Geld habe", sagt Pajenda. Er lebte jahrelang im Iran, nachdem seine Eltern und eine Tochter bei einem Bombenangriff im afghanischen Bürgerkrieg getötet wurden. In dem schiitisch dominierten Land habe er mit den Kurz-Ehen angefangen.
Ehegelöbnis für einen bestimmten Zeitraum
Die Möglichkeit der Blitzehe, unter den 2001 entmachteten Taliban fast undenkbar, fand Pajenda nach der Rückkehr in die Heimat auch in Afghanistan. Seine letzte schloss er im März; sie dauerte genau vier Stunden. Anders als bei der normalen Hochzeit findet bei der Schnellheirat nur eine kurze Zeremonie statt. Das Paar muss zu einem Mullah und legt das Ehegelöbnis für einen bestimmten Zeitraum ab, der von einer Stunde bis zu 99 Jahren reichen kann.
Geschiedene Frauen oder Witwen
Die sonst übliche Hochzeitsgabe von mehreren Tausend Euro, die der Mann entrichten muss, entfällt ebenso wie das kostspielige Festmahl mit Gästen. Da bei Jungfrauen das Einverständnis der Familie notwendig ist, betrifft die Vermählung auf Zeit zumeist geschiedene Frauen oder Witwen.
Vorteile für beide Partner
Schiitische Geistliche verteidigen die Praxis, weil sie Vorteile für beide Partner bringe. "Für den Mann bedeutet das, dass sie nicht an Frauen und Sex denken müssen, für die Frauen, dass der Mann sie ernährt und für sie und ihre Kinder aufkommt", sagt Mullah Sayed Barat Ali Razawi aus Mazar-i-Sharif. Er betont, der Prophet Mohammed selbst habe Soldaten die Erlaubnis zur Heirat auf Zeit gegeben, wenn sie fern der Heimat weilten.
"Termin-Ehe dient lediglich zum Sex"
Doch in Afghanistan, wo 85 Prozent der Bevölkerung Sunniten sind, finden viele eine solche Praxis immer noch unglaublich. Sunnitische Geistliche verbieten sie den Angehörigen ihrer Glaubensrichtung, weil sie darin die Umgehung des Verbots von außerehelichem Geschlechtsverkehr sehen.

"Meiner Meinung nach dient die Termin-Ehe lediglich zum Sex", sagt der sunnitische Mullah Azizullah Moflej. Junge Leute ließen sich zuweilen nur für "ein oder zwei Stunden" trauen. Der Mullah verweist im Gegensatz zu seinem schiitischen Kollegen darauf, dass Mohammed die Praxis später wieder verboten habe.
Wichtiger Zweck für die Armen
Für Nader Naderi von der afghanischen Menschenrechtskommission erfüllt die Ehe auf Zeit dagegen gerade für die armen Teile der Bevölkerung einen wichtigen Zweck. Viele könnten sich die hohen Kosten einer herkömmlichen Heirat einfach nicht leisten.
Echte Heirat kostet rund 2500 Euro
Nazira, deren erster Mann von den Taliban getötet wurde, bestätigt das. "Ich habe fünf Jahre gewartet, aber niemand kam in unser Haus, um mich zu heiraten", sagt die Frau aus ärmlichen Verhältnissen. Dann habe ein Mann gefragt, ob sie ihn für sieben Monate ehelichen könne. Im Jänner schloss sie die zweite Zeitehe - dieses Mal für ein halbes Jahr. Eine echte Heirat hätte rund 2500 Euro gekostet; dies hätte sich ihr Mann auf Zeit nie leisten können.