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Di | 26.11.2013
"Integrations-vereinbarung" "Wie Sprachlose behandelt"
Die Neuregelung der so genannten Integrations-vereinbarung sei sowohl aus verfassungs- und menschenrechtlicher Sicht als auch aus sprachdidaktischer und integrationspolitischer verfehlt, so die Kritik von ExpertInnen, wie heute bei einer Pressekonferenz geäußert.
Das "Netzwerk SprachenRechte" wurde als Reaktion auf das Inkrafttreten der Integrations-vereinbarung im Jänner 2003  gegründet und vereint VertreterInnen verschiedener Disziplinen, wie beispielsweise SprachwissenschaftlerInnen oder JuristInnen. Bereits damals wurde die Integrationsvereinbarung, die verpflichtende Deutschkurse für MigrantInnen vorsieht, heftig kritisiert. Nun komme es aber zu weiteren "Verschlechterungen und Verschärfungen", so das Netzwerk.
"Eklatante Verletzung" der EMRK
"Ernsthafte verfassungs- und europarechtliche Bedenken" hat der Jurist Sebastian Schumacher vom "Netzwerk SprachenRechte" in Bezug auf die in der Integrationsvereinbarung vorgesehenen Sanktionen - im schlimmsten Fall bedeutet dies die Ausweisung aus dem Land -, wenn jemand nicht ausreichend Deutsch kann. Laut Rechtsexperten sei dies eine "eklatante Verletzung" der Europäischen Menschenrechts-konvention (EMRK). "Problematisch und verfassungsrechtlich unhaltbar" ist für Schumacher auch die Koppelung der Integra-tionsvereinbarung an den Familiennachzug.
Zu hohe Kosten
MigrantInnen würden zudem mit viel zu hohen Kosten belastet, so Schumacher. Im Gesetz würde auch nicht auf die Einkommenssituation der Familien Rücksicht genommen. Beim Sprachkurs sind künftig 300 statt 100 Stunden vorgesehen. Bei Kosten von fünf Euro pro Stunde seien das 1.500 Euro, so Schumacher. Lediglich Personen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich kommen, bzw. Angehörige von Österreichern bekommen während der ersten beiden Jahre 50 Prozent vom Bund dazu. Alle anderen müssen voll zahlen. Die Kursgebühren seien im internationalen Vergleich viel zu hoch.
Vielfältigkeit der Sprache beachten
Hans-Jürgen Krumm, Universitätsprofessor für Deutsch als Fremdsprache, bezeichnete die neue Regelung aus sprachwissenschaftlicher Hinsicht als "Mogelpackung". Es sei fachlich nicht sinnvoll, sich an dem A2-Europaratsniveau zu orientieren, da dieser für eine völlig andere Zielgruppe, nämlich für Touristen und Geschäftsleute entwickelt wurde. Die Aufstockung des Sprachkurses auf 300 Stunden sei zwar ein Fortschritt, jedoch werde nicht auf die Vielfältigkeit der Sprache Bedacht genommen. Es müssten Sprachkurse angeboten werden, die auf unterschiedliche Aspekte und Bedürfnisse eingehen. So sei es für MigrantInnen in sprachlicher Hinsicht beispielsweise wichtig, sich bei Behörden zurecht zu finden oder auch die in Österreich gesprochenen Dialekte zu verstehen.
"Passt auf niemanden wirklich"
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die zu absolvierende Prüfung mögliche Existenzängste von MigrantInnen außer Acht lassen. Die Konzeption von Kursen mit Prüfung seien nicht fördern für eine kulturelle Integration, sondern werden von Krumm als "Prüfungstrimmkurse" verstanden. Wegen der Einheitlichkeit sei das Kursangebot unpassend, da es "auf niemanden wirklich passt", so der Sprachexperte.
Realität ausgeklammert
Dieser Kritik schloss sich auch Mario Rieder, Experte für Spracherwerbsmaßnahmen und Alphabetisierung an. Seiner Meinung nach werde die Realität des Sprachenlernens mit der vorliegenden Novellierung völlig ausgeklammert, bereits gemachte Erfahrungen in diesem Bereich werden nicht beachten. Sprachkurse dürfte nicht darauf aufgebaut sein, dass sie ein Zwang sind, sondern, sie müssen örtlich und inhaltlich an die Bedürfnisse der MigrantInnen angepasst sein und begleitend eine Kinderbetreuung anbieten, so Rieder. Der Aufbau der vorgesehen Module sei seinen Ausführungen zu Folge "realitätsfern": es können keine Alphabetisierung stattfinden ohne der Koppelung mit dem Spracherwerb.
Module
Die Integrationsvereinbarung, die im Rahmen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes geändert werden soll, sieht zwei Module vor, die zur erfüllen sind:
  • Modul 1: Erwerb der Fähigkeit des Schreibens und Lesens
  • Modul 2: Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache und der Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich;
  • Mehrsprachigkeitsparadoxon
    Kritik an dem Entwurf äußerte auch die Integrationsexpertin Verena Plutzar: "Integration werde zu einer leere Worthülse", da Integration ein beidseitiger Prozess sei. MigrantInnen müssten dabei unterstützt werden, an der Gesellschaft partizipieren zu können. Darüber hinaus sei es auch notwendig, die Muttersprachlichkeit der MigrantInnen einzubeziehen und zu fördern. Krumm nennt diesen Umstand Mehrsprachigkeitsparadoxon: einerseits werde vom Staat beklagt, dass zu wenig Sprachen erlernt werden, andererseits werde Menschen, die diese Sprachen sprechen nicht einbezogen. Krumm's Resümee: "Sie werden wir Sprachlose behandelt".
    Tatjana Koren, volksgruppen.ORF.at