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Di | 26.11.2013
Foto: EPA
29.5.2013
20 Jahre nach Anschlag von Solingen
Das Foto ging um die Welt: Das Fachwerkhaus der türkischen Familie Genç ist ausgebrannt, die Fassade rußgeschwärzt, das Dach nur noch ein Gerippe aus schwarzen Balken. Das Bild stammt vom 29. Mai 1993 an dem der Ausländerhass in Deutschland einen neuen Namen bekam: Solingen.
Genç-Preis für Hoffnung und Versöhnung Bei dem verheerenden Brandanschlag rechter Jugendlicher starben fünf türkische Mädchen und Frauen. Zum 20. Jahrestag des Attentats wird demnächst in Berlin zum zweiten Mal der Genç-Preis für Hoffnung und Versöhnung verliehen.
Engagement der Mutter für Versöhnung
Die Auszeichnung ruft das beispiellose Engagement von Mevlüde Genç, der Mutter der türkischen Familie, für ein friedliches Miteinander in Erinnerung: Die leidgeprüfte Türkin setzte sich unmittelbar nach dem Anschlag und auch danach tapfer für Versöhnung zwischen Deutschen und Türken ein. Dabei hatte sie zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte bei dem nächtlichen Attentat verloren, für das im Oktober 1995 vier Solinger im Alter von damals 18, 19, 22 und 25 Jahren zu langjährigen, inzwischen längst verbüßten Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Mevlude Genç / Foto: EPA
Genç-Preis an Sebastian Edathy & Tülin Özüdogru
Erstmals wurde der Genç-Preis zum 15. Jahrestag des Solinger Anschlags 2008 verliehen - ausgezeichnet wurden damals Kamil Kaplan, der kurz zuvor bei einer Brandkatastrophe in einem Ludwigshafener Wohnhaus mehrere Angehörige verlor hatte, und der damalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU). Am 25. Juni wird nun der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), den Preis stellvertretend für das Bundestags-Gremium entgegennehmen. Ebenfalls ausgezeichnet wird Tülin Özüdogru, deren Vater am 13. Juni 2001 in Nürnberg von den Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds ermordet wurde.
Welle rechtsextremer Gewalt
"Wir haben nur ein einziges Leben, und dieses Leben sollten wir in Liebe verbringen", hatte Mevlüde Genç nach dem Solinger Brandanschlag gesagt, der den Scheitelpunkt einer Welle rechtsextremer Gewalt zu Beginn der neunziger Jahre markierte. Von unbändigem Ausländerhass hatten sich die vier Täter zu dem Attentat treiben lassen. In den Tagen danach versank Solingen in einer Flut gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen deutschen und türkischen Extremisten sowie der Polizei. Unzählige Schaufensterscheiben wurden eingeschlagen, Autos angezündet, Straßenkreuzungen mit brennenden Reifen blockiert.
125 Verhandlungstage Ermittlungspannen bei der Beweissicherung
Trotz dieser aufgeheizten Atmosphäre gelang es den Fahndern vergleichsweise schnell, die vier Täter zu ermitteln. Allerdings benötigte das Oberlandesgericht Düsseldorf später 125 Verhandlungstage, ehe es die Angeklagten schuldig sprach. Denn das Mammutverfahren im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Gerichts brachte schwere Ermittlungspannen bei der Beweissicherung in dem ausgebrannten Haus ans Licht.
Höchstmögliche Jugendstrafen
Der Prozess war zudem geprägt durch Geständnisse, Widerrufe und den denkwürdigen Zeugenauftritt eines Sportlehrers aus der rechten Szene, der sich vor Gericht als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnte. Obwohl zwei der Angeklagten bis zuletzt jede Beteiligung an dem Anschlag leugneten, verhängten die Richter schließlich dreimal die höchstmögliche Jugendstrafe von zehn Jahren; ein erwachsener Täter wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
"Höhepunkt der Ausländerfeindlichkeit"
Die Strafen und der quälend lange Mordprozess sind heute fast vergessen, der Brandschlag dagegen nicht. "Solingen wird sich als Höhepunkt der Ausländerfeindlichkeit einbrennen in die Geschichtsbücher Nachkriegsdeutschlands", hatte der Genç-Anwalt Rainer Brüssow in seinem Plädoyer vor Gericht im Juli 1995 vorausgesagt. Was der Rechtsanwalt damals nicht wissen konnte: Vom Brandanschlag in Solingen bis zum ersten der zehn Morde, die heute dem jahrelang unentdeckten NSU zugeschrieben werden, sollten nur gut sieben Jahre vergehen.