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Di | 26.11.2013
Foto: APA/Barbara Gindl
14.5.2013
Sich Vergangenheit nie ehrlich gestellt
Österreich habe sich nie ehrlich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit gestellt. Das kritisiert der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Marko Feingold, der am 28. Mai seinen 100. Geburtstag feiert.
"Wenn man das fünf Jahre von 1945 bis 1950 ordentlich gemacht hätte, wäre heute längst eine Ruhe", ist Feingold überzeugt. "So ist bei der Aufarbeitung der Vergangenheit alles offen geblieben", sagt Feingold im Gespräch mit der APA.
Bespiel: Amnestie von 1948
Als ein Beispiel für die mangelnde Aufarbeitung der Geschichte nannte Feingold die vom Nationalrat beschlossener Amnestie ehemaliger Nationalsozialisten im Jahr 1948. Damals wurden 482.000 minder belastete Personen von den Sühnefolgen befreit. "Noch sind die Opfer nicht befriedigt, schon werden die Täter von ihren Lasten befreit." Der berühmte Satz, man soll es in die Länge ziehen, sei nie gerissen. "Der Faden zieht sich bis zum heutigen Tag", sagte Feingold.
Österreicher nach wie vor antisemitisch
Die Österreicher wären nach wie vor antisemitisch eingestellt, sagt der KZ-Überlebende. Mit der vorzeitigen Amnestie sei der Grundstein dafür gelegt worden. In Österreich wären – anders als in anderen Ländern – die Überlebenden der Konzentrationslager nicht empfangen worden, die Kriegsgefangenen habe man aber mit Musik begrüßt. "Wir haben da wirklich nicht aufgeräumt. Man hat die Probleme nicht gelöst."
Mythos vom ersten überfallenen Land
Man könne die Vergangenheit noch aufarbeiten, es seien sehr viele Unterlagen da. "Die Schuld der Bevölkerung kann man aber nicht abnehmen", meinte Feingold. Dass es in Österreich im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Rechtsradikale gebe als in Deutschland, habe auch mit dem Umgang mit der Vergangenheit zu tun. "Deutschland hat sich eher dazu bekannt, wir haben Schuld auf uns geladen, wir müssen das in Ordnung bringen." In Österreich glaubten immer noch viele an den Mythos vom ersten überfallenen Land.
Umdenken bei jungen Menschen
Bei den jungen Menschen ortet Feingold ein Umdenken. Sie seien sehr interessiert an der Vergangenheit und würden die Dinge offen aufnehmen. Bei seinen Vorträgen – er war in den vergangenen Jahrzehnten in 6.000 Schulen – höre er oft, dass die Jugendlichen vorher nichts von dieser Zeit gewusst hätten. "Ich sehe mich verpflichtet, das weiter zu tun, solange es geht", meinte Feingold.
IKG-Präsidentschaft "Wir haben keine Jungen"
In den Ruhestand kann er auch als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde nicht gehen. "Das hat es noch nie gegeben, dass einer mehr als drei Jahrzehnte diese Funktion ausübt", scherzte er. Aber er müsse bleiben, weil es sonst niemanden mehr gebe. Laut Statistik leben in Salzburg noch 70 Juden. "Nach dem Krieg waren es über 500", erinnert sich Feingold. Der Gemeinde fehlt eine Generation: Von den 40 Jugendlichen, die in den 1970er-Jahren zum Studium weg gegangen seien, wäre nur einer zurück gekommen. Die anderen seien im Ausland geblieben. "Wir haben keine Jungen", bedauert Feingold.
Große Wertschätzung in Salzburg
Die große Wertschätzung, die er und die Kultusgemeinde durch das öffentliche Salzburg erfahren, freut ihn sehr. Und auch bei der Gedenkkultur – erst kürzlich wurden neue Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus in Salzburg verlegt und der Bücherverbrennung im Jahr 1938 gedacht – habe sich vieles zum Positiven verändert.
Spenden für jüdische Institutionen
Was wünscht er sich zum 100. Geburtstag? "Dass ich gesund bleibe und noch ein bisschen so weitermachen kann", sagte Feingold. Das Geheimnis seines hohen Alters: "Ich habe eine eigene Diät: I friss alles, I sauf alles, nur nicht zu viel", scherzt er. Geschenke will er keine: "Wer 100 Jahre alt ist und noch nicht alles hat, der braucht es nicht." Lieber sind ihm Spenden für die drei jüdischen Institutionen, für die er sich zuständig fühlt. Das ist das Zentrum für jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg, das jüdische Kulturzentrum Salzburg und KKL-Bäume für Israel.