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Di | 26.11.2013
Zeitzeugin Marion Wolff / Foto: APA/Roland Schlager
Marion Wolff: Rückkehr um zu erzählen
"Meine Erinnerungen an Österreich sind nicht gut." - Als Marion Wolff acht Jahre alt war, brachte sie ihre Mutter zum Westbahnhof, wo sie in einen Zug Richtung Großbritannien gesetzt wurde.
Jewish Welcome Service Dieser erste Kindertransport am 10. Dezember 1938 brachte 600 jüdische Kinder vor den Nazis in Sicherheit. Nach Österreich kehrte Wolff, die nun in den Vereinigten Staaten lebt, selten zurück. Nun ist sie zum zweiten Mal hier: Derzeit ist die 83-Jährige auf Einladung des Jewish Welcome Service in Wien zu Besuch.
"Ich hatte das Gefühl, dass ich ersticke"
Das erste Mal nach der Vertreibung war Wolff vor zwölf Jahren in der Bundeshauptstadt: "Es war für mich eine schreckliche Erfahrung. Ich konnte nicht schnell genug weg. Ich hatte das Gefühl, dass ich ersticke", schilderte sie in einem Vortrag vor Berufsschülern.
Freunde haben sich "von mir abgewendet"
Wohl zu stark lasteten damals die Erinnerungen an jene schreckliche Zeit in den 1930er-Jahren: "Alte Frauen und Männer waren auf Knien und mussten die Kopfsteinpflaster mit Zahnbürsten reinigen. Wenn die alten Leute nicht schnell genug geputzt haben, dann wurden sie von den Soldaten getreten." Zur Schule ging Wolff in der Börsegasse: "Nach der Kristallnacht haben sich meine Freunde von mir abgewendet." Steine seien nach ihr geworfen worden.
Kindertransport nach Großbritannien
Geboren wurde Wolff am 8. Mai 1930 in Berlin. Als sich 1936 dort die Situation für Juden verschlimmerte, zog die Familie über Prag nach Wien. 1938 stand ihre Mutter, ihr Vater war inzwischen verstorben, schließlich vor der Entscheidung, ob sie ihr Kind mit dem Kindertransport nach Großbritannien schicken soll. Was sie schließlich auch tat: "Wir durften einen kleinen Koffer und einen Rucksack mit Stofftieren, Kleidung mitnehmen." Am Bahnhof sei es schrecklich gewesen, viele Eltern und Kinder hätten geweint.
Mutter & Kind konnten sich kaum noch verständigen
In Großbritannien kamen die Kinder zunächst in einem großen Camp unter, dann wurden sie von Pflegefamilien aufgenommen. Wobei, nicht alle hatten Glück: "Manche wurden missbraucht und mussten schwer arbeiten." Wolff kam jedoch zu einer Quäker-Familie in York, die gut für sie sorgte. Überdies half die auch, dass die leibliche Mutter neun Monate später ebenfalls nach England kommen konnte. Wobei - Mutter und Kind konnten sich dann kaum noch verständigen: "Ich habe mein ganzes Deutsch in den neun Monaten vergessen." Und die Mutter konnte kein Englisch.
Die Österreicher "waren nicht so arm"
Heute lebt Wolff in einer kleinen Stadt in Kalifornien und ist verheiratet. Sie hat drei Kinder und sechs Enkelkinder. Letzteren erzählt sie oft von damals, denn: "Es ist notwendig, dass man sich daran erinnert." Sie denkt oft zurück, "aber nicht jeden Tag". Auch was die Einstellung der Österreich zur Nazizeit betrifft, hat sie eine klare Meinung: "Wenn ich höre, dass die armen Österreicher durch die Nazis gelitten haben - die waren nicht so arm." Sie habe selbst gesehen, dass viele Österreicher die Soldaten und Nazis freudig empfangen hätten.
Neue Generation in Österreich
Ihre Mutter wäre niemals wieder nach Wien gefahren, ist sich die 83-Jährige sicher. Sie hingegen hat es getan. Derzeit besucht sie zum zweiten Mal nach der Vertreibung die Stadt, in der sie als Kind gelebt hat. Der Aufenthalt verläuft offensichtlich besser als der letzte vor zwölf Jahren. "Bis jetzt ist es sehr freundlich", sagte sie. Es gebe in Österreich wieder eine neue Generation. Nur wenn sie auf Menschen in ihrem Alter oder älter trifft, dann seien die gemischten Gefühle wieder da.
Einstige Opfer und Nachkommen
Wolff ist Teil jener Gruppe, die derzeit auf Einladung des Jewish Welcome Service in Wien zu Gast ist. Sie besteht aus rund 70 bis 80 Personen. Knapp 30 davon sind - inzwischen hochbetagte - Juden aus der ersten Generation, der Rest sind Familienmitglieder bzw. Begleiter, wie die Generalsekretärin des JWC, Susanne Trauneck, im APA-Gespräch berichtete. Die Besucher kommen aus Israel, den USA, Großbritannien, Argentinien, Mexico und Australien. Sie bleiben bis Sonntag und werden ein umfangreiches Programm absolvieren. Heute werden sie etwa von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) ins Rathaus eingeladen. Einen Tag später ist die Gruppe zu Gast im Bundeskanzleramt.
Seit 1980 3.500 Menschen eingeladen
Der Jewish Welcome Service wurde 1980 gemeinsam vom damaligen Bürgermeisters Leopold Gratz (SPÖ), Stadtrat Heinz Nittel (SPÖ) und Leon Zelman, der selbst Shoah-Überlebender war, gegründet. Angeboten wurden unter anderem Besuchsreisen nach Wien. Seit 1989 finden diese regelmäßig statt. Laut Trauneck wurden bisher rund 3.500 Menschen eingeladen.