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Di | 26.11.2013
"Nacht über Österreich" / Foto: APA/Herbert Neubauer
8.3.2013
"Anschluss": Fotos & Flucht-Biografien
"Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 – Flucht und Vertreibung" ist die zentrale Ausstellung, in der heuer des "Anschlusses" Österreichs an Hitler-Deutschland gedacht wird.
Österreichische Nationalbibliothek Dass sie im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) stattfindet, begründete Generaldirektorin Johanna Rachinger, dass die ÖNB "eine der zentralen Gedächtnis-Institutionen des Landes" sei. Außerdem sei der Heldenplatz, auf dem Adolf Hitler am 15. März 1938 seine umjubelte Rede hielt, der symbolische Erinnerungsort schlechthin. Die Dokumentation der historischen Ereignisse und ihren Auswirkungen auf die heimische Kultur von der Emigration bis zu Thomas Bernhards "Heldenplatz" sind auch die Pole der bis 28. April laufenden Schau, die von Bundespräsident Heinz Fischer eröffnet wurde.
Bestände der ÖNB
Bis auf ein paar Faksimiles aus dem Thomas Bernhard-Archiv greift die rund 200 Exponate umfassende Ausstellung ausschließlich auf Bestände der ÖNB zurück. Einerseits haben Bildarchiv-Leiter Hans Petschar und Michaela Pfundner eine chronologische Dokumentation der Ereignisse von der bis zur Ausrufung der Republik zurückreichenden Vorgeschichte bis zur Volksabstimmung am 10. April 1938 anhand von Fotografien, Flugblättern, Propagandaschriften oder Huldigungsadressen zusammengetragen. Andererseits hat Literaturarchiv-Leiter Bernhard Fetz unterstützt von Andreas Fingernagel und Thomas Leibnitz Materialien, Fotos und Dokumente zu einigen Fluchtbiografien zusammengestellt, um "den ungeheuren kulturellen Rückschlag, den Österreich in dieser Zeit erlitten hat" (Rachinger) deutlich zu machen.
Dichter, Komponisten, Malerin, ...
Die Auswahl reicht von Dichtern wie Elazar Benyoetz und Erich Fried, über Komponisten wie Hans Gal, Erich Wolfgang Korngold und Egon Wellesz bis zu der Malerin Soshana und dem Wissenschafter Adolf Placzek. Nicht alle der 15 exemplarischen Wege führten tatsächlich ins Exil: Der Abreißkalender Egon Friedells, der den 16. März anzeigt, jenen Tag, als sich der jüdische Dichter und Kabarettist aus dem Fenster seiner Wohnung stürzte, als SA-Männer sein Wohnhaus betraten, zählt zu den bedrückendsten Dokumenten der Schau. Das erstmals gezeigte Fluchttagebuch Berta Zuckerkandls (das am 11. April im Zentrum der Buchpräsentation "Berta Zuckerkandl: Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940" steht) ist dagegen eine der jüngsten Erwerbungen der ÖNB. Fletz wies darauf hin, dass gerade in den ersten Nachkriegsjahrzehnten viele bedeutende Nachlässe aus mangelndem Interesse Österreichs in die USA oder nach Deutschland gingen.
Heimatschein von Albert Drach
Ein gutes Beispiel der notwendigen Kontextualisierung, die Dokumente erst zum Erzählen ihrer Geschichte bringt, ist der ausgestellte Heimatschein des Dichters und Rechtsanwaltes Albert Drach. Dessen geschickte Auslegung der für "israelitische Kultusgemeinde" stehenden Eintragung "I.K.G." als "im katholischen Glauben" rette ihm 1942 in einem französischen Lager vermutlich das Leben. Aber auch sonst stockt einem immer wieder der Atem. Viele wenig bekannte Fotos belegen die gigantische Propagandaschlacht, bei der vor der Volksabstimmung allein in Wien 120 Wahlveranstaltungen abgehalten und in ganz Österreich mehr als 12 Millionen Reichsmark (ca. 53 Millionen Euro) ausgegeben wurden.
"Kampf um Bilder und um Oberhoheit"
"Der Anschluss bedeutete auch einen Kampf um die Bilder und um die Oberhoheit über sie", sagte Fetz. Auch die unmittelbar einsetzendes Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung sind immer wieder dokumentiert, von den "Reibpartien", bei denen Österreich-Parolen weggeputzt werden mussten, "Arier! Kauft nicht bei Juden"-Zetteln auf Kaffeehäusern bis zur perfiden, offiziellen Hinweistafel "Juden betreten diese Parkanlage auf eigene Gefahr".
Späte Aufarbeitung
"Österreich hat die ernsthafte und ehrliche Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit spät begonnen", sagte Generaldirektorin Rachinger. Als Versuch, "einen objektiven und vorbehaltlosen Blick" auf die Märztage des Jahres 1938 zu werfen, ist die Ausstellung gelungen. Bei den ausgewählten Biografien darf man allerdings das nicht Gezeigte nie vergessen, wie Fetz richtiger Weise hervorhob: "Hinter ihnen stehen die Schicksale der vielen, die nicht überlebt haben."