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Di | 26.11.2013
US-Historiker
6.3.2013
Deutsche von Nazi-Lagern gewusst
Was der US-Historiker Geoffrey Megargee gemeinsam mit seinem Team vom Washingtoner Holocaust Memorial Museum innerhalb von 13 Jahren zusammengetragen hat, entsetzt selbst erfahrene Holocaust-Forscher.
An mindestens 42.500 Orten sollen Nazis von 1933 bis 1945 Menschen gefangen gehalten, gefoltert oder getötet haben - eine bislang nicht bekannte Dimension des Terrors. "Und dabei haben wir noch nicht mal alle Lager gezählt", sagt Megargee im Gespräch mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa.
Welche Art von Lager haben Sie in Ihrer Studie zusammengetragen?
Megargee:
"Zu den vier größten Gruppen gehören Konzentrationslager, jüdische Ghettos, Arbeitslager und Kriegsgefangenenlager. Hinzu kommen zum Beispiel noch Bordelle, in denen Frauen zur Prostitution gezwungen wurden, und Ausländerkinderpflegestätten, in denen sie zur Abtreibung gezwungen wurden. Aus statistischen Gründen haben wir nur Lager erfasst, die mindestens 20 Gefangene beherbergt haben und mehr als einen Monat lang aufrechterhalten wurden."
Was unterscheidet Ihre Holocaust-Studie von anderen?
Megargee:
"Wir sind tatsächlich die ersten, die mit Hilfe von ungefähr 400 Mitwirkenden in der Lage waren, das äußerst komplizierte Puzzle aus Quellen in unterschiedlichen Sprachen und Ländern zusammenzufügen. Wir hatten die finanziellen Mittel für ein langjähriges Projekt und die Unterstützung von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt."
Was sagt uns das fertige Puzzle über den Nazi-Terror? Muss die Geschichte jetzt umgeschrieben werden?
Megargee:
"Aufgrund unserer Ergebnisse fällt es mir zumindest schwer zu glauben, dass es Deutsche gab, die nicht von den Lagern gewusst haben wollen. Tatsächlich waren die Gefangenen allgegenwärtig. In lokalen Geschäften, Schulen, auf Bauernhöfen - überall haben Menschen unter Zwang gearbeitet. Die Nazis selbst haben ihr Vorgehen in Zeitungen veröffentlicht, weil sie wollten, dass die Bevölkerung Bescheid weiß. Sie müssen davon gewusst haben."