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 30.5.2012 |
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"Beneš als Österreicher"
Nach der Wende in der Tschechoslowakei schossen die Denkmäler für den früheren Staatspräsidenten Edvard Beneš im Lande nur so aus dem Boden.
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Als es dem Diplomaten und Schriftsteller Jiří Gruša zu viele wurden, beschloss er ein Buch über Beneš zu schreiben, seine Persönlichkeit auszuleuchten. Es trägt den etwas provokanten Titel "Beneš als Österreicher".
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"Tschechisches Enigma"
Das Unterfangen, die Person Edvard Beneš einzufangen, ist ein schwieriges. Auch der im vorigen Jahr verstorbene Gruša, der unter anderem in Österreich die Diplomatische Akademie geleitet hatte, bezeichnet Beneš als Rätsel, als "tschechisches Enigma". In Österreich und Deutschland steht der tschechische Politiker in erster Linie für die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und für die Dekrete, mit denen der Präsident der Tschechoslowakei diese durchführen ließ.
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143 Dekrete bis 1946
Insgesamt 143 waren es, und Beneš peitschte die Aktion in einer vergeltungssüchtigen Eile durch, sodass sie 1946 bereits abgeschlossen war. Gruša schreibt in seinem Buch die Zahl der Deportierten aus: zwei Millionen und hundertsiebzig Tausend, die "Einwohnerzahl eines baltischen Staates". Wenig später muss Beneš selbst kapitulieren: Vor den Kommunisten und dem hinter ihnen stehenden Stalin. |
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"Abenteuer des braven Beamten Eduard"
Schon einmal kapitulierte er, damals aber vor Hitler, als er 1938 ins Londoner Exil ging. Man erhält den Eindruck, Gruša nehme beide nicht recht ernst: Hitler benennt er in seinem Buch konsequent in tschechischer Schreibung als "Hydla", und das Leben des CSR-Präsidenten umschreibt er als "die Abenteuer des braven Beamten Eduard". Beide, Hitler und Beneš, deren Geburtsorte gar nicht so weit voneinander entfernt liegen, sind für ihn Kinder der untergehenden Monarchie, "Kakaniens", wie er es nennt. Beide beladen mit Komplexen, die der Vielvölkerstaat ihnen aufgeladen hat.
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Richtige Analysen - falsche Entscheidungen
Dabei ist der 1884 in Kozlany geborene Beneš für Gruša ein Verwaltungstyp, der stets dann am Produktivsten war, wenn er jemandem anderen untergeordnet war. Etwa zu Beginn seiner Karriere dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Masaryk, den Gruša, im Gegensatz zu dessen Nachfolger Beneš, in positivem Licht zeichnet. Auf sich allein gestellt analysiere Beneš zwar richtig, treffe aber die falschen Entscheidungen, so Gruša. Wie beispielsweise 1938, als er die Flucht dem Widerstand gegen Hitler vorzieht.
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Tugenden falsch ausgelegt
Laut Jiří Gruša hatte Beneš, zu Deutsch eine Kurzform von Benedikt, "der gut Besprochene", bestimmte Tugenden falsch ausgelegt: "Weisheit war Schlauheit, Tapferkeit Geschick, Gerechtigkeit Vergeltung und Mäßigung Gemessenheit", schreibt Gruša. "Damit wurde aus Benedikt ein Maledictus. Ein verfluchter Mensch. Dem Gesetz entgegen, das behauptet, er hätte sich um den Staat verdient gemacht." Gruša hat kein Buch geschrieben, das Vertriebenenverbänden oder ewig Gestrigen in die Hände arbeiten würde. Er hat Beneš nicht als rachsüchtigen Tschechen dargestellt, vielmehr als einen Getriebenen, Eigensinnigen, der in seinem Politikerleben viele falsche Entscheidungen getroffen hat. Letztlich ist Beneš eine tragische Figur, die Gutes erreichen wollte, aber nur selten durchsetzte.
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Anspruchsvolle Lektüre
Gruša hat mit seinem letzten Werk einen schmalen Band geschrieben, doch dieser ist keine bequeme Nachtkästchen-Lektüre. "Beneš als Österreicher" setzt Kenntnisse der tschechischen Geschichte, speziell des 20. Jahrhunderts, voraus. Vielleicht muss man das Buch sogar zweimal lesen. Denn Gruša ist Literat, seine Sprache zwar klar und unverschnörkelt, kein Wort zuviel, wenngleich in manches Sprachspiel verliebt. Doch ebenso sehr mag der Autor Anspielungen, Andeutungen, die erst entschlüsselt werden müssen. Obwohl das Buch in seiner tschechischen Ausgabe lange auf Platz eins der Sachbücherliste in Grušas Heimat zu finden war, ist es doch ein Stück Literatur und sollte - auch - als solches gelesen werden.
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Erschienen im Wieser-Verlag
Nach der Lektüre wird sich der Blick auf Beneš zwar nicht grundlegend verändern, vieles aber relativieren. Oder, wie Verlagschef Lojze Wieser schreibt: "Der Versuch, Denkmäler für Beneš zu bauen, wird in Zukunft schwieriger sein."
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Jiří Gruša: "Beneš als Österreicher", Wieser-Verlag, Klagenfurt 2012, 168 Seiten, 21 Euro
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