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Srebrenica geht in ungewisse Zukunft
Blitzblank zeigen sich in diesem Sommer die beiden Moscheen und die frisch renovierte orthodoxe Kirche. Sonst herrscht Tristesse überall. Vor den Toren der Stadt liegen fast alle alten Fabriken nach wie vor in Trümmern.
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Die Menschen sitzen im Zentrum in den zahlreichen Cafés und warten. Niemand will sagen, wie es hier eigentlich weiter geht. Weit mehr als jeder Zweite ist arbeitslos. Die Trostlosigkeit symbolisiert der stillgelegte klotzige Rohbau des neuen Hotels, für diesen kleinen Ort überdimensioniert.
Am 11. Juli jährt sich der Völkermord in Srebrenica zum 15. Mal. Doch auch eineinhalb Jahrzehnte nach der systematischen Ermordung von rund 8000 muslimischen Männern und Kindern durch Serben geht die Stadt im Osten Bosniens einer ungewissen Zukunft entgegen. |
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"Wichtige Sozial- und Wertgefühle sind zerstört, Traumata blieben unbehandelt"
Resignation und Passivität der Menschen sind hier die Grundstimmung, beschreibt Ajla Selimadzovic die Misere. "Wichtige Sozial- und Wertgefühle sind zerstört, Traumata blieben ausnahmslos unbehandelt", sagt die junge Therapeutin. Die studierte Psychologin versucht, mit ihrer Initiative "Crea Thera" junge Menschen zu erreichen. Mit öffentlichen Geldern aus Belgien und mit einem Musiktherapeuten an ihrer Seite, setzt sie auf Theater und Rockmusik als psychologische Hilfsmittel. Beim Texten von Liedern und Gedichten, beim Musizieren in Bands sollen "soziale Fähigkeiten eingeübt werden", beschreiben die beiden ihre Arbeit.
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"die Kriegstraumata werden von den Eltern auf die Kinder übertragen"
Etwa 60 Kinder besuchen regelmäßig diese Workshops. Die beiden Therapeuten klappern auch die Dörfer ab und werben in Schulen für ihr Anliegen. Denn "die Kriegstraumata werden von den Eltern auf die Kinder übertragen", wissen die beiden Experten. Und: "Missachtete und unbehandelte Traumata können explodieren". Das kann in neuen Gewaltexzessen oder Selbstmorden münden. In diesem Frühjahr gab es hier in nur 40 Tagen sechs Suizide.
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Abdulah Purkovic
Abdulah Purkovic sitzt auf der Terrasse seines kleinen Restaurants und wartet auf Gäste. Oft vergebens, seufzt der 63-Jährige, denn hierher verirre sich kaum einer. Ein paar Ausländer - Journalisten, Sozialarbeiter, Experten bei der Exhumierung der immer neuen Massengräber - sonst niemand.
Der Muslim hatte den ganzen Krieg (1992-1995) im von Serben eingekesselten Srebrenica ausgeharrt. Im kleinen Krankenhaus war er für die Beschaffung aller Mangelgüter zuständig. Es gab weder Strom noch Wasser, weder Verbandsmaterial noch Möglichkeiten zur Desinfizierung von Operationsbesteck und Hygienematerial, berichtet der Mann.
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"Alles Muslime, von denen keiner mehr zurück kommt"
Kurz bevor die Serben die Stadt im Juli 1995 einnahmen, konnte er unter dem Schutz ausländischer Organisationen diesen Ort des Grauens verlassen. Und so seinem sicheren Tod durch den dann folgenden Völkermord entkommen. Wie er die Horrorerlebnisse heute aushalten kann? Das weiß er selbst nicht. "Meine Therapie war vielleicht, mich in die Arbeit zu stürzen, damit ich nicht verrückt werde", sagt er. Seine Aussichten sieht er trübe und zeigt auf die vielen zerstörten und nur halbwegs vernagelten Gebäude auf der anderen Straßenseite: "Alles Muslime, von denen keiner mehr zurück kommt." |
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Vor dem Krieg 40 000 - heute 15 000 Menschen
Vor dem Krieg zählte Srebrenica samt Umgebung knapp 40 000 Einwohner, drei Viertel davon Muslime. Heute leben geschätzte 15 000 Menschen hier mit Serben in der großen Mehrheit. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Serben wollten auch weiterhin die Muslime vertreiben. Erst gerade hätten zwei muslimische Kleinfirmen auf Druck der Behörden schließen müssen. Die Stadtverwaltung schicke ihre Inspektoren und Prüfer mit immer haarsträubenderen Auflagen, bis die Besitzer resignierten. Srebrenica gehört zur serbischen Landeshälfte Bosniens. Die alten Täter haben hier das Sagen über die alten Opfer. Angeblich existiert eine Liste von Mittätern, von denen auch heute noch einige unbehelligt im Polizeidienst seien.
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Menschliche Knochenreste in Gartenerde
Erst vor knapp einem Monat wurden mitten in der Stadt in einer LKW-Ladung Gartenerde wieder menschliche Knochenreste gefunden. Sie führten zu einer Erdgrube mit einem neuen Massengrab in Bratunac vor den Toren Srebrenicas. Die unvollständigen Skelette von 13 verscharrten Menschen wurden in tagelanger Arbeit frei gebuddelt. "Es handelt sich um Leichenteile aus einem Sekundärgrab", erklärt Emir Ibrahimovic, Staatsanwalt für Kriegsverbrechen: "Die Serben haben die Massengräber später noch einmal mit schweren Baggern und Raupen geöffnet und Teile von ihnen auf neue Gräber verteilt. So wollten sie ihre Verbrechen vertuschen. Daher finden wir heute kaum noch komplette Körper."
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Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbildung
"Angst und Vorsicht" prägen heute den Umgang der Menschen untereinander, hat Dragana Jovanovic beobachtet. Sie leitet die Hilfsorganisation "Srebrenica-Freunde", die mit niederländischem Geld und mit Spenden der Heinrich-Böll-Stiftung finanziert wird. Ein Schwerpunkt ist die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Ausbildung. Denn 80 Prozent der jungen Menschen verfügten nur über eine Grundschulbildung. Der Verein zahlt anstelle der Arbeitgeber für einen neu Eingestellten ein halbes Jahr lang Steuern und Sozialabgaben. Daneben haben sich rund 30 Leute mit Hilfe dieser Organisation schon selbstständig machen können, berichtet Jovanovic stolz.
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734 mit grünem Tuch bedeckte Holzsärge
Unterdessen laufen 120 Kilometer Luftlinie entfernt auf dem städtischen Friedhof von Visoko nahe bei Sarajevo die Vorbereitungen für die größte Bestattung auf dem Srebrenica-Gedenkfriedhof. 734 mit grünem Tuch bedeckte Holzsärge stehen aufgereiht in der Leichenhalle bereit. Rund 30 sollen noch bis zum 11. Juli dazukommen, sagt der stellvertretende Friedhofsdirektor Sabahudin Cosovic.
Im Nebenraum läuft pausenlos die computergesteuerte Herstellung der provisorischen Namensschilder für die vorläufigen grünen Holzstelen. Sie bleiben ein Jahr lang nach der Beisetzung in der Srebrenica-Gedenkstätte auf den Gräbern, bis sie durch weiße Marmorstelen ersetzt werden.
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"Gesamtzahl der Opfer" wird auf dem großen Steinquader am Eingang mit 8372 angegeben
In den Särgen sind Teile identifizierter Opfer. "Wenn wir später in einem anderen Massengrab noch weitere Leichenteile finden, werden die dann hinzugefügt", erklärt der Vize-Direktor die Arbeitsweisen. Alle Verwandten von Kriegsvermissten haben Blutproben abgegeben, die mit dem genetischen Material der gefundenen Knochen abgeglichen werden. Schon bisher wurden 3749 Opfer des Srebrenica-Massakers identifiziert, die schon in den vergangenen Jahren in der Gedenkstätte ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Die "Gesamtzahl der Opfer" wird auf dem großen Steinquader am Eingang mit 8372 angegeben, doch "die ist nicht endgültig".
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Insgesamt sind aus dreieinhalb Jahren Bürgerkrieg in Bosnien ziemlich genau 100 000 Tote exakt identifiziert worden. Die große Mehrheit waren Muslime, es wurden aber auch tausende und abertausende Serben und Kroaten gezählt. Es bleibt noch viel zu tun für die Gerichtsmediziner und Forensiker aus aller Welt, die hier seit Jahren mithelfen. Das mit Abstand größte Verbrechen war das Massaker von Srebrenica, das vom UN-Kriegsverbrechertribunal und vom Internationalen Gerichtshof (IGH) als klarer Völkermord klassifiziert wurde. |
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"fundamentalistische Propagandalüge über den serbischen Genozid in Srebrenica"
Um so schmerzlicher für die Hinterbliebenen, dass dieses schlimmste Kriegsverbrechen in Europa nach 1945 auch heute noch in Abrede gestellt wird. "Wir können und werden niemals hinnehmen, dass dies als Völkermord eingestuft wird", sagt der Regierungschef der serbischen Landeshälfte in Bosnien, Milorad Dodik. Der serbische Nationaldichter Dobrica Cosic spricht in Belgrad von einer "fundamentalistischen Propagandalüge über den serbischen Genozid in Srebrenica".
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"Srebrenica-Mütter"
"Wir fühlen uns dadurch verhöhnt. Wir haben aufgehört, an die Wahrheit zu glauben", resigniert Hatidza Mehmedovic. Sie ist die Vorsitzende der Opferorganisation "Srebrenica-Mütter". In ihrer Sicht der Dinge sind die Serben für ihre Missetaten "noch belohnt" worden. Sie könnten heute in ihrer Landeshälfte völlig selbstständig schalten und walten. "Wir Mütter erkennen nur Bosnien als Gesamtstaat an und nicht die serbische Landeshälfte, denn sie ist auf Blut und Mord gebaut."
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