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Di | 26.11.2013
Graz übt sich in Integration Afro-Trommeln und steirische Jodler
"Jetz amoal im Tokt!", ermahnt ein zünftig gekleideter Steirer die bunt gemischte Gruppe im Grazer Lokal "Auschlössl". Eine Mittfünfzigerin in brauner Wildlederjacke stimmt spontan auf der Blockflöte das afrikanische Lied "Kumbaya" an.
Austro-afrikanische Jam-Session
Die Gäste, darunter fünf gut gelaunte Nigerianer, lassen sich nicht lange bitten und musizieren munter auf allem, was nicht niet- und nagelfest ist. Ob Xylophon, Rassel, Gitarre, Mundharmonika oder Trommel: Bei dieser austro-afrikanischen Jam-Session kommt einfach alles zum Einsatz, was Töne erzeugt. "Interkultureller Musikstammstisch" heißt die Initiative, die Wolfram Märzendorfer und Herbert Krienzer vor zehn Jahren in der Hauptstadt der Steiermark ins Leben gerufen haben.
Beitrag zur Integrationsförderung
"Wir sind uns sicher, dass dieses Projekt ein kleiner Beitrag zur Integrationsförderung ist, denn Musik ist eine wunderbare Möglichkeit, einander näher zu kommen", sagt Märzendorfer, während im Hintergrund ein Steirer im karierten Hemd zu jodeln beginnt. Die Ehrengäste des Abends - Joseph, Ifayi, Stephen, Godwin und Alex - schauen zunächst noch etwas verdutzt, aber singen dann ihrerseits ein nigerianisches Volkslied: "If I Die Today, I Will Die No More..." (Wenn ich heute sterbe, dann kann ich nicht nochmal sterben).
"... Abstand von dem Erlebten..."
Das hört sich traurig an. Wahrscheinlich ist das Stück für die jungen Männer tatsächlich mit vielen bitteren Erinnerungen an die Heimat verbunden. Aber darüber reden möchten sie nicht. Ebensowenig wie all die anderen Gäste, die in der Vergangenheit den Stammtisch bereichert haben - ob sie nun aus Chile, Tschetschenien oder der Türkei stammen. "Eigentlich wollen diese Menschen nur Abstand von dem Erlebten haben und stattdessen lieber von den Bräuchen, Tänzen und Liedern ihrer Heimat berichten", sagen die Organisatoren. Einen Leistungsgedanken gebe es dabei nicht: Der Stammtisch soll einfach nur Spaß machen, auch wenn die häufig improvisierten Melodien manchmal etwas schräg klingen.
"Austria and Africa"
Diese Erfahrung macht auch Ifayi, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Geige in der Hand hält und fröhlich vor sich hinfiedelt. Joseph beginnt zu tanzen, Alex spielt auf einem Mini-Tamburin, während eine Grazerin mit konservativem Hütchen rhythmisch im Takt mitklatscht. "Austria and Africa", das sei wirklich eine schöne Kombination, meint Alex.
150 Nationalitäten
In Graz lebten mittlerweile rund 150 verschiedene Nationalitäten, erklärt Märzendorfer, der selbst Gitarrist ist. "Dabei haben wir hier lange in punkto Migration und auch Tourismus hinterhergehinkt." Eine echte Flüchtlingswelle gab es erst Anfang der 90er Jahre, als zahlreiche Menschen aus den Balkanstaaten, aus Afrika und Kurdistan Zuflucht in der zweitgrößten Stadt Österreichs suchten. Nachdem das historische Zentrum 1999 zum Weltkulturerbe erklärt wurde und Graz 2003 Kulturhauptstadt Europas war, kam auch der Tourismus mehr und mehr in Schwung.
Interkultureller Musikstammtisch
"In anderen Ländern und Städten Europas leben die Migranten schon in zweiter Generation, aber in Graz handelt es sich immer noch um die erste Generation", erläutern die Initiatoren. Und da diese sich meist noch sehr fremd in der neuen Umgebung fühlten, sei es viel schwieriger, die Menschen einander näher zu bringen. Deshalb habe sich der interkulturelle Musikstammtisch als echter Glücksfall erwiesen. "Wenn jemand mit Gesang einen anderen berührt, dann ist er kein Fremder mehr", lautet der Grundgedanke.
Liebeslieder
Besonders beeindruckend sei eine junge Frau aus Tschetschenien gewesen, die Liebeslieder ihrer Heimat vorgetragen habe, erinnert sich Märzendorfer. "Sie hat seitdem viel mehr Anschluss gefunden und wird jetzt auch zu anderen Veranstaltungen in Graz eingeladen, um zu singen." Auch afrikanische Trommler, orientalische Lautenspieler und türkische Bauchtänzerinnen schauten bereits bei dem Stammtisch vorbei, der jeweils am ersten Donnerstag des Monats in unterschiedlichen Grazer Lokalen abgehalten wird.
"Musik ist eine so einfache Art des Zusammenseins"
"Viele der ausländischen Gäste, die wir eingeladen haben, kommen nach einiger Zeit nochmal wieder und erzählen uns, was ihnen in der Zwischenzeit so passiert ist", sagt Märzendorfer. Auch Joseph, Ifayi und ihre Freunde - die in Graz die Obdachlosen-Zeitung "Megaphon" verkaufen - wollen wiederkommen. "Musik ist eine so einfache Art des Zusammenseins", sagt Godwin, der verspricht, beim nächsten Mal seine afrikanische Trommel mitzubringen.
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http://www.megaphon.at
Von Carola Frentzen, dpa