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Di | 26.11.2013
Afrika! Afrika!
Gentests an afrikanischen Asylbewerbern
Mit Gentests an afrikanischen Asylbewerbern versucht Großbritannien Schwindler herauszufiltern, die ein falsches Herkunftsland angeben. Das Vorgehen stößt auf Kritik von Wissenschaftern und Empörung bei Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen.
Die dem Innenministerium unterstehende Einwanderungsbehörde begann bereits im September mit dem Pilotprojekt. Hintergrund war der Verdacht, dass eine große Zahl von Asylbewerbern ihre Heimat verschleiert, um ihre Chance auf Aufnahme zu erhöhen. Großbritannien ist nach Angaben eines Behördensprechers das einzige Land, das Gentests zu diesem Zweck einsetzt.

Fachleute wenden dagegen ein, dass das Vorgehen auf wissenschaftlich falschen Annahmen beruht und dass es unmöglich ist, aus Erbgut-Abstrichen aussagekräftige Rückschlüsse auf die Nationalität zu ziehen.
Nur wenn Zweifel Nationalität aufkämen
Der Behörde zufolge sind die Tests freiwillig. Nur wenn Zweifel an ihrer Nationalität aufkämen, würden Bewerber aufgefordert, einen Abstrich der Mundschleimhaut beziehungsweise eine Haar- oder Fingernagelprobe abzugeben. Es stehe ihnen frei, abzulehnen.
Die Regierung argumentiert, dass derartige Tests wertvolle - wenn auch nicht beweiskräftige - Hinweise darauf gäben, ob Asylbewerber über ihr Herkunftsland die Wahrheit sagten. Bisher werden sie bei Flüchtlingen angewandt, die nach eigenen Angaben aus Somalia, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Uganda und dem Sudan kommen. Bei Erfolg soll das Projekt noch ausgeweitet werden.
"Gene kennen keine Staatsgrenzen"
Mehrere Experten kritisierten die wissenschaftlich mangelhafte Vorgehensweise scharf. In einer Eingabe an Premierminister Gordon Brown wurde verlangt, das Projekt einzustellen. "Gene kennen keine Staatsgrenzen", erklärte Sir Alec Jeffreys, Genetiker an der Universität Leicester. "Nationalität ist ein rechtlicher Begriff und hat nicht das Geringste mit Genetik zu tun." Es sei noch nie erforscht worden, ob sich anhand der DNA der ethnische Ursprung in Afrika herausfinden lasse.
"In dieser Lage sind sie ungeschützt"
Menschenrechtsaktivisten halten die "Freiwilligkeit" des Tests für irreführend. "Wenn die Leute nicht zustimmen, könnte das ihren Antrag gefährden oder anderweitig negativ ausgelegt werden", befürchtet Jill Rutter von der Hilfsorganisation Gerechtigkeit für Flüchtlinge und Migranten. "Flüchtlinge sind möglicherweise nicht imstande zu begreifen, was los ist, und sie haben vielleicht keinen Rechtsbeistand, wenn das Ansinnen an sie gerichtet wird", sagt sie. "In dieser Lage sind sie ungeschützt, und ihre Rechte könnten beeinträchtigt werden."
Voriges Jahr stellten knapp 26.000 Menschen in Großbritannien einen Asylantrag. Von den mehr als 19.000 Fällen, die entschieden wurden, erhielten 3.725 beziehungsweise 19 Prozent Asyl. Flüchtlinge aus besonders repressiven und chaotischen Ländern wie Sudan oder Somalia haben in der Regel bessere Aussichten auf Aufnahme als Menschen aus stabileren Ländern wie Kenia.
Beweis der Herkunft
Den Gentest wollte die Einwanderungsbehörde ursprünglich als eindeutigen Beweis der Herkunft werten, musste aber auf Protest von Wissenschaftlern hin zurückrudern und nennt ihn jetzt nur noch einen "Hinweis auf die Abstammung, der eine wahrscheinliche Identifizierung mit einem bestimmten Land erlaubt". Die Ergebnisse würden nur zusammen mit anderen Methoden wie Sprachanalyse und Befragung verwendet und nicht dazu benutzt, um jemanden abzuschieben, beteuerte ein Sprecher.
Im Laufe des auf zehn Monate angelegten Projekts rechnet das Amt mit etwa drei Tests pro Woche. Mit ihnen soll außerdem festgestellt werden, ob die Kinder, die Asylbewerber mit ins Land bringen wollen, tatsächlich mit ihnen verwandt sind. Gentests auf Verwandtschaftsbeziehungen hat es bereits probehalber in den USA und in Frankreich gegeben.
Haar- und Nagelproben mittels Isotopenanalyse
Zusätzlich untersuchen die britischen Behörden Haar- und Nagelproben mittels Isotopenanalyse auf bestimmte Elemente nach Aufschluss darüber, wo sich ein Mensch aufgehalten hat. Wissenschafter wenden allerdings ein, dass damit nur Hinweise darauf zu gewinnen sind, wo jemand in jüngster Zeit war. "Ich sehe nicht, wie man aus Haar oder Nägeln etwas über den Geburtsort herausfinden könnte", erklärte die Isotopenexpertin Jane Evans vom Nationalen Umweltforschungsrat in Nottingham. Präzisere Informationen über die Herkunft wären allenfalls aus Knochen- oder Zahnproben zu gewinnen.
Ein Gentest könne vielleicht etwas darüber aussagen, wo jemandes Vorfahren einmal herstammten, "aber nicht, wo er selbst herkommt", sagte der Bioethik-Professor John Harris. "Das liefert denen nichts Wissenswertes, sondern sehr wahrscheinlich kommt etwas Irreführendes heraus."